„KI eignet sich hervorragend, um große Datenmengen zu verarbeiten, zu strukturieren und zu interpretieren“

Möglichkeiten und Herausforderungen beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Kanzleien

Von Dr. Axel Freiherr von dem Bussche

Dr. Axel Freiherr von dem Bussche ist Partner und Fachanwalt für Informationstechnologierecht bei der internationalen Kanzlei Taylor Wessing. Mit seiner Expertise in Sachen Datenschutz und seiner Faszination für technologische Entwicklungen im Rechtsbereich hat er einen guten Überblick über die Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz in Kanzleien. Im Interview beleuchtet er den Einsatz von KI in Rechtsunternehmen, wirft einen Blick auf die Zukunft und gibt Einblick in die damit verbundenen Herausforderungen und Lösungen. Er verrät, wieso KI die Rechtspraxis nicht nur verändert, sondern auch verbessert, und teilt wertvolle Tipps, wie Juristinnen und Juristen sich am besten auf diese technologischen Fortschritte vorbereiten können.

Ki in Kanzleien
Adobe Stock/©treety

Herr Dr. von dem Bussche, welche Rolle spielen KI-Technologien und -Software bereits heute in Kanzleien und wie hat sich diese Rolle in den letzten Jahren entwickelt?

Legal Tech hat in den vergangenen Jahren einen wahren Siegeszug hingelegt: Laut einer JUVE-Studie nutzen bereits drei Viertel aller Rechtsunternehmen entsprechende technologische Lösungen in ihrem Arbeitsalltag. Künstliche Intelligenz hat jedoch eher ein Nischen-Dasein gefristet – stattdessen war Automatisierungstechnologie in den letzten Jahren die Hauptattraktion. Diese Programme haben hoch-standardisierbare Aufgaben übernommen und nach festem Muster in einem „Wenn-Dann”-Prinzip abgearbeitet. Und von diesen standardisierbaren Aufgaben gibt es gerade im Rechtswesen eine ganze Menge.

Die Technologie war in vielen Fällen noch nicht weit oder erschwinglich genug, um Aufgaben zu übernehmen, die logisches Denken und Abweichungen von der Norm erfordern; also die Paradedisziplinen von KI.

Doch inzwischen befinden wir uns an der Schwelle zu einer neuen Software-Generation.

KI hat über die Jahre enorme Qualitätssprünge vollbracht und wurde inzwischen in einem Maße trainiert, dass sie intelligent genug ist, auch nicht-standardisierbare Aufgaben zuverlässig auszufüllen und Daten zu interpretieren. Dementsprechend sehen wir einen großen Anstieg der Nachfrage für KI-Tools.

In welchen Bereichen halten Sie den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Kanzleien für besonders vielversprechend?

Durch die Fortschritte im Natural Language Processing, also dem Verarbeiten, Verstehen und Interpretieren von Sprache, eignen sich für die jetzige Generation insbesondere monotone, zeitintensive Aufgaben, die zwar gewissen Abläufen folgen, in denen sich die KI bewegen kann, aber abweichende Faktoren bieten. Und KI eignet sich hervorragend, um große Datenmengen zu verarbeiten, zu strukturieren und zu interpretieren. Zwei Beispiele: die Vertragsanalyse oder Fallrecherche. Eine KI kann in Windeseile tausende Verträge durchkämmen, nach unzulässigen oder risikobehafteten Klauseln durchsuchen und diese herausarbeiten. Und Versicherungen nutzen beispielsweise KI um die Gewinnwahrscheinlichkeit von (Schadens-)fällen zu prognostizieren.

Ein weiteres ganz konkretes Beispiel sind Übersetzungsdienstleistungen. In vielen Rechtsunternehmen müssen in hoher Regelmäßigkeit beispielsweise Vertragsentwürfe oder Gesetzestexte in verschiedene Sprachen übersetzt werden. In der Vergangenheit konnten Software-Tools Sprache jedoch nicht kontextualisieren. Daher wurden diese Texte an externe Übersetzungsagenturen gegeben. Je nach Länge des Textes dauerte dies aber mehrere Tage und kostete schnell vierstellige Beträge pro Text, da diese Agenturen zehn bis 20 Cent pro Wort verlangen.

Dies ändert sich aber durch die neue KI-Generation. Wir arbeiten bei Taylor Wessing beispielsweise für Übersetzungen mit DeepL zusammen. Das KI-Online-Übersetzungstool aus Deutschland wurde über Jahre hinweg mit den verschiedensten Sprachen und Texten trainiert und ist in der Lage, Sprache nicht nur pro Wort, sondern im Kontext zu sehen. Daher kann das Tool auch Sprichwörter oder lokale Sprachbesonderheiten erkennen und anpassen. Durch die Nutzung des Tools sparen wir bis zu 80 Prozent der Zeit, die wir früher für Übersetzungsdienstleistungen aufgewendet haben. Es muss lediglich ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin  von final über den Text gehen und diesen an wenigen Stellen glatt ziehen.

Was sind die größten Herausforderungen beim Einsatz von KI-Technologien in Kanzleien?

Die größten Herausforderungen sehen wir derzeit in den Punkten Datenschutz, Vertraulichkeit und Copyright. Denn wir arbeiten in einer Branche, in der wir mit vielen sensiblen Informationen umgehen und in unserer Berufsübung zu den „schweigepflichtigen Personen“ zählen. Es ist eine berechtigte Frage, ob und inwiefern sensible Informationen an Software-Anbieter, oder andere Dienstleister, ausgelagert werden dürfen.

Viele KI-Tools benötigen und verarbeiten Daten für eigene Zwecke und das macht sie anfällig für Datenschutzverstöße.

Das Thema Copyright trifft natürlich vor allem dann zu, wenn Rechtsunternehmen KI für Recherchezwecke verwenden. Denn KI-Tools wie ChatGPT ziehen ihre Antworten, Empfehlungen und Sammlungen aus online verfügbaren Quellen. Dass ist natürlich okay, wenn diese für interne Zwecke verwendet werden. Sobald man diese extern verwendet, etwa für Blogposts, geraten wir in eine Grauzone.

Wie können diese Herausforderungen von Kanzleien bewältigt werden?

Als DSGVO-Experte bei Taylor Wessing habe ich mich vor der Implementierung von KI-Tools in unseren Arbeitsalltag intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt. Denn erst vor einigen Jahren wurden die maßgeblich einschlägigen Vorschriften in § 203 des Strafgesetzbuchs und § 43e der Bundesrechtsanwaltsordnung um die Begriffe der „mitwirkenden Personen“ und „Dienstleister“ erweitert.

Diese ermöglichen es grundsätzlich, externe Personen oder Dienstleister für die Erledigung von Aufgaben zu Rate zu ziehen – oder entsprechende Prozesse an diese auszulagern. Dennoch bleibt die Rechtslage auch nach den vorbenannten Klarstellungsversuchen etwas unsicher. Daher ist es in meinen Augen wichtig, dass sich Rechtsanwaltskanzleien bei Beauftragung von KI-Dienstleistern nicht allein auf die gesetzlich eingeräumte Möglichkeit eines Outsourcing verlassen, sondern folgende Punkte beachten: Erstens sollte als zusätzliche Absicherung ein NDA unterschrieben werden und zweitens sollte der Anbieter über eine eigene Server-Infrastruktur verfügen, ohne dass sich dahinter ein undurchsichtiges Geflecht von Subunternehmern auftut. Darüber hinaus sollten nur Partner ausgewählt werden, die eine beschränkte Speicherdauer sowie Löschung nach Verarbeitung der überlassenen Daten vorsehen. Obendrein sollten sich die Interessenten über die End-to-End Verschlüsselung bei der Übertragung ihrer Daten informieren und gerade in hochsensiblen Bereichen Zertifizierungen einholen, die das Sicherheitsniveau der Partner bescheinigen. Bei Nicht-EU-Partnern ist es zudem ratsam sich nach der Einhaltung der DSGVO zu erkundigen, insbesondere auch vor dem Hintergrund der erhöhten Komplexität bei dem Datentransfer in der Folge des bekannten EuGH Urteils Schrems II.

Vor unserer Partnerschaft mit DeepL haben wir genau nach diesen Faktoren Ausschau gehalten. Das Unternehmen löscht bei Nutzung der Pro-Version sämtliche verarbeiteten Texte nach der Dauer der Übersetzung und „vergisst“ sozusagen die sensiblen Daten. Zudem betreibt der Service seine eigenen Server und hat damit im Gegensatz zu typischen Cloud-Umgebungen die volle Kontrolle über die Daten.

Welche rechtlichen und ethischen Fragen und Probleme ergeben sich aus dem Einsatz von KI-Technologien in der Kanzlei?

Entscheidend für unsere Nutzung von KI ist, dass stets der Mensch die letztlich entscheidende Instanz bleibt – und somit komplizierte oder gar ethische Fragen nicht der Entscheidungsgewalt einer Künstlichen Intelligenz überlassen werden. Das gilt sowohl für die KI in einer beratenden Rolle – wie etwa die Gewinnwahrscheinlichkeit von Fällen – als auch für Aufgaben wie Übersetzungsdienstleistungen, in denen immer ein Mensch über den finalen Text lesen sollte.

Noch wichtiger ist jedoch, in meinen Augen, die Art und Weise, wie die Künstliche Intelligenz trainiert wurde. In der Vergangenheit gab es immer wieder Berichte über KI-Tools, die etwa Minderheiten benachteiligten, etwa bei der Bilderkennung, da sie schlicht nicht ausreichend für derartige Fälle trainiert und damit sensibilisiert wurde. Letztendlich ist eine KI stets nur so gut, wie der Erfahrungsschatz, auf den sie zurückgreifen kann. Auch deswegen können KI-Tools nicht mit der menschlichen Objektivität mithalten – auch wenn wir Software immer als Inbegriff der Rationalität verstehen.

Wie können sich Anwälte und Anwältinnen am besten auf den technologischen Fortschritt vorbereiten und ihre Fähigkeiten im Umgang mit KI-Technologien weiterentwickeln?

Ich glaube nicht, dass es hier den goldenen Weg gibt. Klar ist aber: Es besteht ein großer Bedarf an Weiterbildungen in verschiedenen technischen Disziplinen. Ob das lediglich die Schulung mit dem Umgang mit KI-Tools ist, Expertise für die Integration von KI-Systemen in den Arbeitsalltag oder Fortbildung für unternehmensweite KI-Strategien.

Welche zukünftigen Entwicklungen erwarten Sie im Bereich der Künstlichen Intelligenz in der Rechtsbranche?

KI-Tools werden derzeit insbesondere in Aufgabenfeldern mit einem hohen Arbeitsvolumen eingesetzt: die Übersetzung langer Gesetzestexte, zeitintensive Recherchen, die Verarbeitung und Interpretation großer Datenmengen.

Mittel- und Langfristig erwarte ich, dass Künstliche Intelligenzen zunehmend auch Beratungsrollen übernehmen. Sie „denken“ also nicht nur in festen logischen Mustern innerhalb ihres Aufgabenbereichs, etwa der Analyse und Bewertung von Vertragsinhalten, sondern beziehen Erfahrungswerte außerhalb ihres Silos mit ein und inkludieren dieses Wissen in Beratungsdienstleistungen und Analysen. Beispielsweise das Übersetzungstool, das nicht nur den vorgelegten Text bestmöglich übersetzt, sondern aktiv Verbesserungsvorschläge für die Formulierung des Inhaltes einbringt.

Welche Auswirkungen könnten diese Entwicklungen auf die Arbeit von Juristinnen und Juristen haben?

Für Juristinnen und Juristen bedeutet das, dass die reinen Rechtswissenschaften – also die Subsumtion, die Analyse von Rechtssituation, das strategische Denken, Kommunikation und Verhandlungsführung – in den Mittelpunkt der Tätigkeiten rücken werden.

Schließlich müssen sie durch die Nutzung von KI weniger Zeit mit dem Aggregieren und Strukturieren von Daten verbringen. Hinsichtlich der vorbereitenden Aufgaben, wie etwa der Recherche oder der Übersetzung, werden sie eine kontrollierende Rolle einnehmen. Das bedeutet, dass sie die Ergebnisse der KI-Arbeit überprüfen, anreichern und interpretieren müssen. Letztlich erwarte ich jedoch vor allem einen starken Produktivitätszuwachs. Juristinnen und Juristen müssen weniger Administratives erledigen und können die gewonnenen Ressourcen in fachliche wichtigen Aufgaben in fachlich wichtigen Aufgaben einbringen.

Ich glaube aber auch, dass die Arbeit von Juristinnen und Juristen zukünftig teilweise um eine technische Komponente ergänzt wird, um die Integration von KI-Systemen in den Arbeitsalltag zu begleiten und zu optimieren.

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Dr. Axel Freiherr von dem Bussche

Dr. Axel Frhr. von dem Bussche ist Partner und Fachanwalt für Informationstechnologierecht bei Taylor Wessing.

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