Wie neue KI-Technologien den Berufsalltag erleichtern können

Fünf Schritte für die erfolgreiche Implementierung in Kanzleien

Von Dr. Michael Wagner und  Larissa Siebenkäs

Nicht nur ein Hype: Künstliche Intelligenz (KI) hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen und ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Im privaten Umfeld wird KI ständig genutzt. Manchmal aktiv, beispielsweise bei der Nutzung von Sprachassistenten oder der intelligenten Einparkhilfe. Manchmal aber auch eher unbemerkt, wenn zum Beispiel in sozialen Netzwerken lernende Algorithmen entscheiden, welche Beiträge die Nutzerinnen und Nutzer zuerst sehen. Doch auch der Arbeitsalltag in den rechtsberatenden Berufen verändert sich spürbar. Die Zeiten, in denen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ohne digitale Unterstützung nur mit Papier und Stift arbeiten konnten, sind spätestens seit der aktiven Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) endgültig vorbei.

Implementierung KI Kanzlei
Wie kann KI erfolgreich im Kanzleialltag implementiert werden? © Adobe Stock/FAHMI

Während die einen der Digitalisierung, der Automatisierung und dem Einsatz von KI im beruflichen Kontext eher skeptisch gegenüberstehen, sehen andere darin eine große Chance, den Berufsalltag zu verbessern und die immer komplexer werdenden Tätigkeiten zu erleichtern. Wir zeigen Ihnen in diesem Beitrag fünf Schritte auf, mit denen die Implementierung neuer Technologien wie Künstlicher Intelligenz in den Berufsalltag gelingt.

Erster Schritt: Verbesserungsfähige Kanzleiprozesse identifizieren

Das wirtschaftliche Ziel einer Kanzlei ist es, den Deckungsbeitrag pro Mandat zu erhöhen. Weist ein Mandat keinen ausreichenden Deckungsbeitrag auf, kann dies zur wirtschaftlichen Herausforderung für die Kanzlei werden. Die Ursachen für einen zu geringen Deckungsbeitrag können vielfältig sein – entsprechend vielfältig sind auch die Lösungsansätze. In jedem Fall empfiehlt es sich, einen Blick auf die internen Prozesse der Kanzlei zu werfen und Verbesserungspotenziale zu identifizieren.

Ist es zum Beispiel notwendig, dass Mandantinnen und Mandanten vor dem Erstgespräch ihre Daten auf einem Papierfragebogen erfassen oder kann der Prozess digitalisiert werden? Laut der STAR-Befragung der Bundesrechtsanwaltskammer aus dem Jahr 2022 sind 83 Prozent der Kanzleimitarbeiterinnen und -mitarbeiter noch mit Schreibarbeiten ausgelastet. Kann hier eine Spracherkennungssoftware unterstützen, damit sich die Mitarbeitenden anderen Aufgaben widmen können? Im Bereich der Spracherkennung hat sich in den letzten Jahren viel getan. Können wiederkehrende und zeitaufwendige manuelle Tätigkeiten automatisiert werden? Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist dies ein wirkungsvoller Ansatz, denn die Zeitersparnis bei der Automatisierung von Routineaufgaben ist nicht zu unterschätzen. Viele Kanzleien haben nicht mehr genügend Personal, um die Vielzahl an manuellen Tätigkeiten, die im Kanzleialltag anfallen, zu bearbeiten. Durch die Digitalisierung und Automatisierung dieser Aufgaben bleibt den Kanzleimitarbeitenden mehr Zeit für anspruchsvollere und gewinnbringendere Aufgaben. Das Transkribieren von Diktaten, Telefonaten oder Mandantengesprächen sowie die automatisierte Zuordnung von Posteingängen und Dokumenten zu den richtigen Akten entlasten die Mitarbeitenden, steigern die Effizienz der Kanzlei und erhöhen damit auch den Deckungsbeitrag.

Zweiter Schritt: Auf- und Ausbau des Kanzleiökosystems

Das Herzstück einer Anwaltskanzlei sollte immer eine umfassende und zuverlässige Kanzleiverwaltungssoftware sein. Die juristische Arbeitswelt wird jedoch von Tag zu Tag komplexer. Eine Kanzleiverwaltungssoftware allein kann in der Regel nicht alle Bedürfnisse der Anwender und Anwenderinnen erfüllen. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, arbeiten viele Kanzleisoftwarehersteller mit Partnerunternehmen zusammen und entwickeln Schnittstellen, damit diese Partnerlösungen integriert werden können. Die Partnerlösungen werden über Schnittstellen an die Kanzleiverwaltungssoftware angebunden und können im Idealfall medienbruchfrei genutzt werden. Diese Programmierschnittstellen zur Verbindung von Softwaresystemen werden auch APIs (Application Programming Interface) genannt. Der große Vorteil besteht darin, dass die Software entsprechend der individuellen Bedürfnisse der User erweitert werden kann. Aus der klassischen Kanzleiverwaltungssoftware kann so eine flexible Plattform werden.

Tipp:

Ein kritischer Blick auf die Kanzleiprozesse kann hilfreich sein, um Schwächen und Potenziale zu erkennen und entsprechende Softwarelösungen zu integrieren.

Dritter Schritt: Intelligente Unterstützung durch passende Kanzlei-Tools

Neben der klassischen Kanzleiverwaltungssoftware gibt es mittlerweile viele interessante Tools, wie ChatGPT, durch die die juristische Arbeit unterstützt und vereinfacht werden kann. ChatGPT funktioniert mit sogenannten Large Language Models (LLM). LLMs die die Basis für effizienzsteigernde Tools für den Berufsstand, zum Beispiel für intelligente Suchanwendungen sind, da sie mit großen Textmengen trainiert werden. Einmal erstellte Textbausteine können so schnell gefunden und wiederverwendet werden. Gerade in spezialisierten Kanzleien, die viele gleichartige Fälle haben oder Massenverfahren betreuen, kann damit viel Zeit gespart werden. Mit umfangreichen juristischen Trainingsdaten könnte eine KI in Zukunft zuverlässig Recherchearbeiten, Zusammenfassungen und die Formulierung einfacher Textbausteine übernehmen. Auch die Abwicklung der Mandantenkommunikation ist denkbar. Bereits heute befinden sich Anwendungen in der Testphase, die mit GPT-4 Verträge analysieren oder Zusammenfassungen erstellen.

Achtung: Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz kann Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten jedoch noch nicht in allen Bereichen vollumfänglich unterstützen. Gerade aktuelle Sprachmodelle wie GPT-3.5 oder GPT-4 wurden auf historischen Daten trainiert, sodass neue Gesetze, Urteile und andere Entwicklungen, die nach dem jeweiligen Stichtag veröffentlicht wurden, nicht automatisch zum Informationsstand der Modelle beitragen.

Vierter Schritt: Prompt Engineering als Schlüssel zur Nutzung von Sprachmodellen

Halluzinationen der KI stellen wahrscheinlich die größte Herausforderung für die verschiedenen LLM-Technologien dar. Dabei handelt es sich um selbstbewusste Antworten der KI, die nicht durch ihren Datensatz gedeckt sind. Durch Prompt Engineering können diese Halluzinationen zwar reduziert werden, dennoch müssen die Antworten der KI immer kritisch hinterfragt und überprüft werden. Prompts stellen die Schnittstelle zwischen den Nutzerinnen und Nutzern und dem Large Language Model der KI dar.

Vereinfacht dargestellt ist ein Prompt eine Anweisung an die KI in natürlicher Sprache. Die Qualität der Antwort hängt also von der Menge und Qualität des Inputs im Prompt ab. Die Anweisungen werden vom User im besten Fall so gestaltet, dass sie von der KI gut verstanden und verarbeitet werden können. Dies spiegelt sich dann auch in den besseren Antworten wider. Je spezifischer und präziser die Eingabe ist und je mehr Kontext angegeben wird, desto wahrscheinlicher ist eine qualitativ hochwertige Antwort. So können Halluzinationen reduziert werden und man erhält passende Antworten ohne häufiges Nachfragen oder Umschreiben der Anweisung.

Fünfter Schritt: Datenschutz sicherstellen

Ein häufiger Grund, warum Juristen und Juristinnen dem Einsatz von KI kritisch gegenüberstehen, ist die Sorge vor möglichen Sicherheitslücken und Datenschutzverletzungen. In der juristischen Arbeit, in der viele streng vertrauliche Daten verarbeitet werden, sind Sicherheitslücken besonders gefährlich. Diese Bedenken sind verständlich, können aber leicht ausgeräumt werden. Die meisten Anwaltsprogramme verfügen über Funktionen wie Datenverschlüsselung und Zugriffskontrolle. Bei der Nutzung von Online-Diensten kann darauf geachtet werden, dass sich die entsprechenden Rechenzentren in Deutschland befinden, sodass deutsche Sicherheitsstandards eingehalten werden müssen. Auch Zertifizierungen wie ISO 27001 senken Risiken in der Informationssicherheit. Bei der Nutzung von ChatGPT sollte unbedingt darauf geachtet werden, keine sensiblen und personenbezogenen Daten einzugeben. Denn die Kommunikation mit ChatGPT ist nicht vertraulich. Im Zweifelsfall kann nicht sichergestellt werden, dass die Daten nicht in die USA abfließen, was nach Rechtsprechung des EuGH einen DSGVO-Verstoß darstellen würde.

Fazit: KI-Technologien bieten Chance zur Erleichterung des Arbeitsalltag

Insgesamt bietet der Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Rechtsanwaltskanzlei die Chance, den Arbeitsalltag zu erleichtern und zu verbessern. Die richtige Integration von intelligenten Tools in die Arbeitsprozesse der Kanzlei kann die Effizienz steigern und Mitarbeitende entlasten. Es ist wichtig, dass Unternehmen und Entscheidungsträger diese Chancen nutzen und gleichzeitig die Auswirkungen und Herausforderungen von KI berücksichtigen, um eine verantwortungsvolle und nachhaltige Implementierung sicherzustellen. Sich regelmäßig über die neuesten Tools und Funktionen zu informieren und zu prüfen, ob man vielleicht schon manche Features in seinem Kanzleiorganisationsprogramm oder über Schnittstellen nutzen kann, lohnt sich definitiv. Zukunftspotential hat KI ohne Zweifel – lassen Sie dieses nicht ungenutzt.

Dr. Michael Wagner

Als Leiter des Rechtsanwaltsmarkts bei DATEV eG verantwortet Dr. Michael Wagner Strategie und Produkte für die Mitglieder und Kunden der DATEV eG aus dem anwaltlichen Bereich. Schwerpunktthemen sind dabei die Digitalisierung der Anwaltskanzlei und die Unterstützung der anwaltlichen Arbeit durch Legal Tech.

Larissa Siebenkäs

Larissa Siebenkäs ist Juristin und Business Analyst im Rechtsanwaltsmarkt bei DATEV eG. In dieser Tätigkeit begleitet sie die Produkte über den gesamten Lebenszyklus, von der Markteinführung bis hin zur Abkündigung. Darüber hinaus analysiert und bewertet sie Markt- und Kundenanforderungen, damit das Produktportfolio an den Bedürfnissen und Prozessen der Kunden ausgerichtet wird.

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