Die Zukunft der Rechtsberatung

Möglichkeiten und Risiken von Künstlicher Intelligenz in der Anwaltschaft

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Die fortlaufende technologische Disruption transformiert zahlreiche Berufsfelder und die Anwaltschaft bleibt davon nicht unberührt. Im Zentrum dieser Transformation steht die zunehmende Integration von Künstlicher Intelligenz (KI), exemplarisch durch die Verwendung von Chatbots wie ChatGPT und KI-Agenten, die komplexere Aufgaben bewältigen können. Die rasante Weiterentwicklung hin zu einer möglicherweise Allgemeinen Künstlichen Intelligenz erschließt neue Möglichkeiten, birgt jedoch auch beträchtliche Risiken. Der vorliegende Artikel stellt einen umfassenden Überblick über die Potenziale und Herausforderungen dar, die mit der Implementierung dieser Technologien in der anwaltlichen Praxis einhergehen.

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Adobe/©Nuthawat

Eine Liste mit wichtigen Begriffserklärungen finden Sie am Ende des Beitrags. 

Möglichkeiten von KI-Systemen in der Anwaltschaft

Die Implementierung von Chatbots und fortgeschrittenen KI-Systemen hat das Potenzial, den Berufsalltag von Juristinnen und Juristen erheblich zu transformieren. Aufgaben wie Textzusammenfassungen, Aktenprüfung, Recherchen und Dokumentenprüfungen, die traditionell als zeitaufwendig und monoton gelten, können durch den Einsatz von KI effizienter gestaltet werden. Aktuelle KI-Systeme sind bereits in der Lage, umfangreiche Informationsmengen rasch zu durchforsten, relevante Daten zu identifizieren und sogar einfache juristische Analysen durchzuführen.

Ein beispielhafter Blick auf die Entwicklung von ChatGPT im amerikanischen Rechtssystem veranschaulichen die raschen Fortschritte der KI im juristischen Kontext. Beim Uniform Bar Exam, der Zulassungsprüfung zum Anwaltsberuf in den USA – welches unserem Zweiten Staatsexamen entspricht – befand sich ChatGPT in der Version GPT-3.5 unter den unteren zehn Prozent der Kandidaten. Doch bereits mit der nächsten Version, GPT-4, gehörte es zu den besten zehn Prozent und meisterte das Examen hervorragend. Diese Entwicklung innerhalb von nur etwa drei Monaten zwischen Veröffentlichung der beiden Versionen unterstreicht das enorme Potenzial von KI-Systemen.

Obwohl das deutsche Rechtssystem eigene Herausforderungen mit sich bringt, ist zu erwarten, dass eine KI mit einer Datenbank, die veröffentlichte Urteile, Gesetze und eine bedeutende Anzahl qualitativ hochwertiger Anwaltsschriftsätze verarbeitet, Ergebnisse erzielen wird, die die fachliche Kompetenz eines einzelnen Anwalts sowohl in der Breite als auch in der Tiefe übertreffen werden.

Effizientere Mandantenbetreuung durch KI

Stellen Sie sich vor, Sie betreten am Montag Ihre Kanzlei und finden alle relevanten Informationen zu einem neuen Mandat vor, inklusive einer Auflistung relevanter Klärungspunkte für ein bereits terminiertes persönliches Gespräch und einer prägnanten Zusammenfassung mit Einschätzung basierend auf einer umfangreichen Recherche in Kommentaren und Rechtsprechung zu diesem speziellen Sachverhalt. Nach der Besprechung speisen Sie die neugewonnenen Erkenntnisse in die KI ein und erhalten binnen weniger Sekunden fertig ausformulierte Anwaltsschriftsätze oder eine Klageschrift.

Dieses Szenario ist keine Zukunftsvision mehr, sondern durch verschiedene existierende Systeme bereits größtenteils realisierbar. Eine Zusammenarbeit von Mensch und Maschine, bei der die KI bestimmte Routineaufgaben übernimmt, ermöglicht eine effizientere Mandantenbetreuung und entlastet Anwältinnen und Anwälte von zeitaufwendigen Aufgaben. Dadurch wird mehr Zeit für die persönliche Betreuung von Mandantinnen und Mandanten sowie für die Bearbeitung komplexer juristischer Fragestellungen frei.

Die Vision eines 24/7-Service in einer Einzelkanzlei ohne Angestellte rückt in greifbare Nähe, vorausgesetzt das KI-System hat Zugriff auf die Kanzleidaten und ist in das Telefonsystem integriert. Schon jetzt ist die Beantwortung einfacher Rechtsfragen am Telefon, die Vereinbarung von Terminen, Rückfragen von bestehenden Mandanten und Mandantinnen und dergleichen technisch umsetzbar. Dabei ist die Qualität der KI-Betreuung nicht zu unterschätzen. Moderne KI-Stimmen sind kaum noch von menschlichen Stimmen zu unterscheiden. Experten und Expertinnen prognostizieren, dass KI-Gesprächspartner im Dienstleistungssektor in den kommenden Jahren (nicht Jahrzehnten) weit verbreitet sein und zeitnah die klassische Telefonbetreuung ablösen werden.

Der zunehmende Einsatz von KI-Systemen hat das Potenzial, die Qualität des Service in Kanzleien signifikant zu steigern und eine individuellere Betreuung zu ermöglichen. Doch ist es unabdingbar, dass die Implementierung dieser Technologien sorgfältig geplant und durchgeführt wird, um sowohl die Vertraulichkeit der Mandantendaten zu wahren als auch eine hochwertige juristische Dienstleistung zu gewährleisten.

Risiken und Herausforderungen beim Einsatz von KI in der Rechtsbranche

Die Effizienzsteigerung durch KI kann zwar zu einer erhöhten Wettbewerbsfähigkeit führen, aber auch zu Herausforderungen bei der Mandantenakquise sowie zu einem Rückgang traditioneller Bürotätigkeiten mit entsprechenden Arbeitsplatzverlusten in Kanzleien.

Die leichtere Zugänglichkeit von KI-Systemen wird den juristischen Laien ermächtigen, zahlreiche Standardprobleme eigenständig zu lösen. Sei es eine rechtliche Ersteinschätzung, eine allgemeine Rechtsberatung, die Erstellung von Vertragsunterlagen oder anderen rechtlichen Dokumenten: Die Bandbreite autonomer Lösungen wächst stetig. Auch als Mediatoren könnten KI-Systeme fungieren oder zumindest unterstützen, da sie schnell und kostengünstig spezifische Vorschläge auf Grundlage des gesamten Sachverhaltes generieren können. Diese Entwicklung wird die traditionelle Rolle von Juristen und Juristinnen verändern. Während Erfahrung und menschliche Einsicht unverzichtbar bleiben, wird die Notwendigkeit, für bestimmte Standardanliegen einen Anwalt bzw. eine Anwältin zu konsultieren, abnehmen. Die genaue Abgrenzung der Aufgaben zwischen KI-Systemen und klassischen Rechtsprofis wird sich in der Praxis herauskristallisieren und bleibt eine spannende Frage der nahen Zukunft.

Trotz der fortschreitenden Automatisierung bleibt die menschliche Beurteilung eines Falles unersetzlich. Anwältinnen und Anwälte müssen eine überprüfende und lenkende Rolle einnehmen, um die Einflüsse automatisierter Systeme auf die Rechtsprechung zu kontrollieren. Während verfahrensrechtliche Vorgaben den Anwaltsberuf momentan bei Teilaufgaben absichern, besteht die Gefahr, dass unkontrollierte oder unregulierte KI-Systeme die Entscheidungsfindung in rechtlichen Angelegenheiten mehr und mehr beeinflussen, was zu unvorhersehbaren oder unerwünschten Ergebnissen führen könnte. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, Schutzmaßnahmen zu gewährleisten und auch mit Verboten zu intervenieren.

Ethische Überlegungen bei der Nutzung von KI-Systemen in der Anwaltschaft

Die Einbindung von KI-Systemen in den juristischen Arbeitsprozess wirft wichtige ethische Fragen auf, insbesondere da die Anwaltschaft auf Vertrauen, Diskretion und strikte berufsethische Standards angewiesen ist. Die Vertraulichkeit von Mandanteninformationen muss auch bei der Analyse von Daten durch KI-Systeme gewährleistet sein. Unzureichend überwachte KI-Systeme könnten Fehlentscheidungen treffen, die negative Konsequenzen für die Mandantschaft haben könnten. Daher ist es unerlässlich, dass ethische Standards und Leitlinien für die Nutzung von KI-Systemen entwickelt und streng befolgt werden. Diese könnten eine zusätzliche Aus- und Fortbildung in den Bereichen KI und Ethik für Anwältinnen und Anwälte beinhalten, um sicherzustellen, dass sie diese Werkzeuge verstehen und ethisch korrekt einsetzen können.

Die menschliche Überprüfung und Kontrolle der durch KI-Systeme erzeugten Inhalte ist entscheidend, um das Risiko von Fehlern und Missbrauch zu minimieren. Es ist hier wichtig, transparente Verfahren zu implementieren, die es ermöglichen, die Entscheidungsprozesse von KI-Systemen nachzuvollziehen und zu überprüfen.

Die Anwaltschaft sollte auch die langfristigen Auswirkungen der KI-Integration auf den Berufsstand und die Rechtsprechung insgesamt berücksichtigen. Dies umfasst die Bewertung der Auswirkungen auf die Rolle und Verantwortung der Anwältinnen und Anwälte sowie die Interaktion mit der Mandantschaft. Die Nutzung von KI sollte immer im Einklang mit den beruflichen und ethischen Verpflichtungen der Anwaltschaft stehen und die Rechte und Interessen der Mandantschaft schützen.

Datenschutz: Klare Richtlinien und Verfahren für den Einsatz von KI notwendig

Der Einsatz von KI in der Anwaltschaft ist derzeit besonders in sensiblen Bereichen mit datenschutzrechtlichen Herausforderungen verbunden. Verschiedene Unternehmen arbeiten bereits an Lösungen, um eine datenschutzkonforme Nutzung von KI in Unternehmen und in sensiblen Bereichen wie der Anwaltschaft zu ermöglichen. Doch ob diese den strengen Datenschutzvoraussetzungen gerecht werden, bleibt abzuwarten.

Denn einerseits müssen die von KI-Systemen verarbeiteten Daten in Übereinstimmung mit den Datenschutzgesetzen erhoben, gespeichert und genutzt werden. Andererseits müssen die Rechte der Betroffenen, insbesondere das Recht auf Auskunft, Berichtigung und Löschung, gewahrt bleiben. Die Anonymisierung und Pseudonymisierung von Daten kann dabei helfen, die Datenschutzanforderungen zu erfüllen, allerdings können diese Maßnahmen die Funktionalität und Effizienz von KI-Systemen beeinträchtigen.

Es ist auch von Bedeutung, wie mit den von KI-Systemen generierten Daten umgegangen wird. Beispielsweise könnten durch KI erstellte Dokumente oder Analysen personenbezogene Daten enthalten, die entsprechend geschützt werden müssen. Auch die Weitergabe von durch KI generierten Daten an Dritte birgt datenschutzrechtliche Risiken, die sorgfältig bewertet und gesteuert werden müssen.

Im Hinblick auf die datenschutzrechtliche Compliance ist es essentiell, dass Kanzleien klare Richtlinien und Verfahren implementieren, um den Datenschutz zu gewährleisten. Dies könnte die Entwicklung und den Betrieb lokal gehosteter KI-Systeme, von Datenschutz- Managementsystemen sowie regelmäßige Datenschutz-Audits und -Schulungen umfassen. Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Datenschutzaufsichtsbehörden klare Leitlinien und Best Practices für den Einsatz von KI in der Anwaltschaft bereitstellen.

Was KI schon kann: Dieser Artikel als Beispiel

Für diejenigen, die noch Zweifel an den Potenzialen der Künstlichen Intelligenz hegen, dient dieser Beitrag als praktische Demonstration. Er wurde mithilfe von ChatGPT (Version 4.0) erstellt, basierend auf einem von mir erstellten Skript. Die Formulierung wurde vollständig autonom von der KI vorgenommen, mit nur geringfügigen Anpassungen meinerseits im Nachhinein. Dies unterstreicht eindrücklich die fortgeschrittenen Möglichkeiten, die KI- Systeme bereits heute in der anwaltlichen Praxis, zumindest im Bereich der Ausformulierung von Texten, bieten können.

Fazit: KI birgt großes Potenzial zur Verbesserung der juristischen Dienstleistungen

Die Einführung von KI-Systemen in der Anwaltschaft birgt ein riesiges Potenzial zur Verbesserung der Effizienz und Qualität der juristischen Dienstleistungen. Die Technologie bietet Werkzeuge, welche die anwaltliche Tätigkeit ergänzen und die persönliche Betreuung von Mandantinnen und Mandanten unterstützen. Die rasche Auseinandersetzung mit KI- Technologien wird unerlässlich sein, um wettbewerbsfähig zu bleiben und den Berufsalltag zu optimieren. Die Vorteile überwiegen die Risiken bei weitem, und eine ablehnende Haltung gegenüber Technologie wird zu einem erheblichen Wettbewerbsnachteil führen.

Durch kontinuierliche Weiterbildung und Anpassung an die digitalen Trends wird die Anwaltschaft weiterhin ein fester und wichtiger Bestandteil des Rechtswesens sein. Für weiterführende Diskussionen zu diesem Thema stehe ich zur Verfügung und biete auch Schulungen und Vorträge an, die sich ausführlich mit der Anwendung von KI-Systemen auseinandersetzen. Die Zukunft der Anwaltschaft ist digital, und der richtige Einsatz von KI- Systemen wird entscheidend sein, um die Rechtspraxis für die kommenden Jahrzehnte zu gestalten.

Begriffserklärungen

Künstliche Intelligenz: Unter KI versteht man lernfähige Systeme, die menschenähnliche Intelligenz zeigen und auf neue Eingaben reagieren können. Die Bandbreite der KI reicht von Textverarbeitung, Datenanalyse bis hin zur Problemlösung.

KI-Bots: Dies sind automatisierte Systeme, die basierend auf spezifischen Eingaben Antworten generieren. Durch das Durchsuchen großer Datenmengen liefern sie individuell abgestimmte Antworten und können sogar einfache juristische Analysen durchführen.

KI-Agenten: Hierbei handelt es sich um spezialisierte KI-Anwendungen, die autonom Informationen sammeln und bearbeiten. Sie zerlegen komplexe Aufgaben in kleinere Einheiten, lösen diese und speichern die Ergebnisse für spätere Nutzung, wodurch auch komplexere Aufgaben gelöst werden können.

Allgemeine Künstliche Intelligenz: Auch als „starke KI" bekannt, bezeichnet AGI eine Form der KI, die jede menschliche intellektuelle Aufgabe verstehen, lernen und anwenden kann. Das Ziel einer umfassenden Verständnis- und Anpassungsfähigkeit, ähnlich dem menschlichen Gehirn, ist jedoch noch nicht erreicht.

Michael Goldmaier

Michael Goldmaier ist Rechtsanwalt und hat Jura in Saarbrücken und Halle (Saale) studiert. Mit hoher technischer Affinität und Fachwissen im Urheber- und Medienrecht, unterstützt Rechtsanwalt Goldmaier Firmen, IT-Startups sowie Künstler und Künstlerinnen bundesweit.

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