Von Christian Hartz
Spricht man im juristischen Kontext vom Einsatz künstlicher Intelligenz (KI), so handelt es sich meistens um generative KI, englisch kurz GenAI genannt. Laut unserer aktuellen Future Ready Lawyer Studie gehen aktuell überwältigende 73 Prozent aller Jurist:innen davon aus, dass sie in ihrer Kanzlei GenAI einsetzen werden. Mit der sogenannten extraktiven KI gibt es jedoch auch einen weiteren großen Bereich, der für den Rechtsmarkt von Interesse sein kann.
Beide Ansätze haben ihre eigenen Stärken und Schwächen und können im juristischen Umfeld auf unterschiedliche Weise eingesetzt werden. Christian Hartz, Legal Engineer und KI-Experte bei Wolters Kluwer, erläutert in diesem Beitrag die Unterschiede zwischen generativer und extraktiver KI und stellt einige Beispiele vor, um Jurist:innen dabei zu helfen, den Unterschied zwischen diesen beiden KI-Ansätzen und deren Anwendungsgebieten zu verstehen.
Neue Inhalte durch generative KI
Generative KI-Modelle sind darauf ausgelegt, neue Inhalte zu erzeugen, indem sie auf Basis von Trainingsdaten lernen, Muster und Zusammenhänge in den Daten zu erkennen. Ein bekanntes Beispiel für generative KI ist das GPT-Modell (Generative Pre-trained Transformer), das in der Lage ist, menschenähnliche Texte zu verfassen.
Hierzu sagt es die Wahrscheinlichkeiten für das nächste Wort bzw. Teile eines Wortes in einem Satz voraus. Trainiert wurde es auf einem Datensatz, der mehr oder weniger dem Internet entspricht. Während des Trainings muss der Algorithmus, basierend auf einem vorgegebenen Teil eines Satzes, das nächste Wort vorhersagen. Immer dann, wenn es ein fehlerhaftes nächstes Wort vorhergesagt hat, wurde es „bestraft“.
Extraktive KI nutzt bestehende Daten
Extraktive KI hingegen konzentriert sich darauf, relevante Informationen aus bestehenden Daten herauszufiltern und zu extrahieren. Ein Beispiel für eine extraktive KI-Technik ist Named Entity Recognition (NER), welche Personen, Organisationen, Daten und andere Entitäten in Texten identifiziert. Diese kann beispielsweise eingesetzt werden, um eingehende Dokumente anhand der beteiligten Parteien oder dem Aktenzeichen zuzuordnen. Ein anderer Anwendungsfall ist das wörtliche Extrahieren von ganzen Sätzen zum Erstellen einer Zusammenfassung.
Eine weitere KI-Technik ist Dependency Parsing, bei der die grammatikalischen Beziehungen zwischen Wörtern in einem Satz analysiert werden, wodurch etwa die Eigenschaften eines Nomens beschrieben werden können. Das hilft dabei, eine Sentiment-Analyse für einen Satz mit relativ simplen und dadurch vergleichsweise schnellen Methoden durchzuführen. Durch die Kombination dieser und weiterer Techniken ist extraktive KI in der Lage, solche Aufgaben sehr genau zu erfüllen.
Einsatz abhängig vom Anwendungsfall
Sowohl die generative als auch die extraktive KI haben ihre eigenen Stärken und Anwendungsbereiche im juristischen Umfeld. Generative KI kann zur automatischen Erstellung von Verträgen, zur Strukturierung von Gerichtsentscheidungen oder zur Beantwortung von Fragen über Dokumente verwendet werden. Ebenfalls kann die Technologie zur Zusammenfassung von gerichtlichen Beschlüssen und Urteilen sinnvoll sein, wie es beispielsweise bei unseren GPT-Zusammenfassungen auf Wolters Kluwer Online der Fall ist.
Extraktive KI kann im juristischen Bereich unter anderem zur automatischen Klassifikation von Rechtsprechungsdokumenten oder zur Erkennung von Fristen in Verträgen eingesetzt werden. Aber auch für Zusammenfassungen kann extraktive KI im juristischen Umfeld relevant sein, zum Beispiel für die Auswahl der wichtigsten Sätze einer Entscheidung, um sie als Leitsatz zu klassifizieren.
Bei der Verwendung von Entscheidungsbäumen (Decision Trees) zur Darstellung von juristischem Wissen, können auch beide KI-Modelle zum Einsatz kommen. Auf Wolters Kluwer Online kommen Entscheidungsbäume beispielsweise bei unserem Honorarrechner im Architektenrecht zum Einsatz. In einer Kombination von extraktiver KI mit generativer KI kann eine Lösung erstellt werden, um automatisch Verträge zu generieren und diese anhand eines vorgefertigten Schemas zu evaluieren.
Fazit
Welche Art von Algorithmen eingesetzt werden sollte, hängt letztendlich immer vom Einzelfall ab. Jurist:innen, die den Unterschied zwischen den verschiedenen KI-Ansätzen verstehen, können die jeweils am besten geeignete Technologie für ihre spezifischen Aufgaben auswählen und so ihre Arbeitsabläufe optimieren und effizienter gestalten.
Christian Hartz
Christian Hartz ist seit 2019 Legal Engineer bei Wolters Kluwer Deutschland und seit 2023 im Legal & Regulatory Solution Advanced Technology Team der Digital eXperience Group verantwortlich für die globalen KI-Anforderungen und das Legal (Prompt) Engineering. Neben der Implementierung von Machine Learning und Künstlicher Intelligenz in Expertenlösungen und die Vermittlung von Wissen über die Anwendungsmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz in das Unternehmen ist sein Fokus die digitale Transformation des juristischen Arbeitsumfeldes. Darüber hinaus lehrt er an der Universität des Saarlandes und der Universität zu Köln im Bereich Strafrecht und Legal Tech.