Von Gordan Gajski
In einer Welt, die immer stärker von Technologie geprägt ist, ist es unerlässlich, dass wir die Potenziale neuer Entwicklungen erkennen und nutzen – auch in der Rechtsbranche. Eine dieser vielversprechenden Innovationen ist die Conversational AI, eine spezielle Form der künstlichen Intelligenz, die die Art und Weise, wie wir kommunizieren und Informationen abrufen, revolutionieren kann. Für Juristinnen und Juristen bietet diese Technologie eine Fülle von Möglichkeiten, um ihre Arbeit – z. B. im Bereich der juristischen Recherche – effizienter und präziser zu gestalten. In unserem Interview spricht Gordan Gajski, Leiter Strategic Business Development beim Softwareunternehmen Onlim, über das Potenzial von Conversational AI, insbesondere im Hinblick auf die juristische Recherche. Er gibt uns spannende Einblicke in die aktuellen Entwicklungen in diesem Bereich und verrät, wie Juristinnen und Juristen von diesen Technologien profitieren können.
Herr Gajski, was genau versteht man unter Conversational AI?
Conversational AI ist eine Variante der künstlichen Intelligenz. Sie ermöglicht es Computern, mit Menschen auf natürliche und menschenähnliche Weise zu kommunizieren. Im Wesentlichen handelt es sich um ein komplexes System, das in der Lage ist, menschliche Sprache und Absichten zu verstehen und entsprechend zu beantworten.
Ein gutes Beispiel für Conversational AI sind Chatbots. Sie werden in vielen Unternehmen und Organisationen eingesetzt, um Kundenfragen zu beantworten und Hilfestellung zu leisten. Diese Chatbots können auf verschiedene Weise programmiert und trainiert werden, um auf bestimmte Stichworte und Phrasen zu reagieren und entsprechende präzise Antworten zu generieren.
Welchen Einfluss hat Conversational AI auf die Arbeit von Juristen und Juristinnen?
Conversational AI hat das Potenzial, die Arbeit von Juristinnen und Juristen maßgeblich zu verändern, insbesondere im Bereich der Rechtsrecherche. Beispielsweise kann ein Sprachassistent oder Searchbot schnell und effizient auf eine Vielzahl von juristischen Informationsquellen zugreifen und relevante Informationen liefern. Dadurch könnten Juristinnen und Juristen Zeit sparen, die sie sonst für manuelle Recherchen aufbringen würden.
Darüber hinaus könnten Searchbots und Sprachassistenten auch bei der Analyse juristischer Texte und Entscheidungen helfen. Ein Conversational KI-System könnte beispielsweise auf Basis vorgegebener Parameter, Kriterien und Schlüsselwörter die relevanten Passagen eines Gesetzestextes oder Urteils hervorheben und auswerten. Dies könnte die Arbeit von Juristinnen und Juristen wesentlich erleichtern, da sie schneller und präziser auf die gewünschten Informationen zugreifen könnten.
Welche Vorteile ergeben sich durch die neuen technischen Möglichkeiten, die Onlim entwickelt, für Juristen und Juristinnen?
Wir unterscheiden uns von KI-Systemen wie OpenAI Services grundlegend dadurch, dass wir primär unseren Wissensgraphen (Knowledge Graph, den wir seit acht Jahren laufend weiterentwickeln und der aktuell bei über hundert zum Teil börsennotierten Unternehmen in verschiedenen Anwendungsfällen verwendet wird) für die Datenerfassung und die Erstellung von Taxonomien bzw. Domänenwissen einsetzen. Für die Verbesserung und Erweiterung der Sprachausgabe verwenden wir Large Language Models und verfolgen damit ganz bewusst einen hybriden Ansatz. Denn im Vordergrund steht die Datensicherheit der Kundinnen und Kunden und Quellen innerhalb unseres Wissensgraphen – der Kunde hat die volle Kontrolle über seine Daten und Inhalte, alles DSGVO-konform und laufend auf europäischen Servern.
Können Sie den von Onlim entwickelten Wissensgraphen noch etwas genauer erklären? Wie funktioniert er, welche Informationen werden dort verarbeitet?
Bei unserem Knowledge Graph handelt es sich um eine strukturierte Darstellung von Wissen, in der die Informationen in Form von Knoten und Beziehungen organisiert sind. Er kann in verschiedenen Bereichen zur Visualisierung, Erklärung und Verknüpfung komplexer Zusammenhänge und Beziehungen zwischen verschiedenen Sachverhalten eingesetzt werden, so auch in der juristischen Recherche. Wir können verschiedene umstrukturierte Texte und Medientypen verarbeiten.
Inwieweit kann der von Ihnen entwickelte Wissensgraph auch in der Rechtsbranche eingesetzt werden?
Unser Knowledge Graph ermöglicht es, die Suche nach juristischen Informationen präziser und effizienter zu gestalten. Durch die strukturierte Organisation von Wissen und die Verknüpfung von Informationen können Anwender:innen gezielt nach bestimmten juristischen Inhalten, Urteilen, Vorschriften oder relevanter Rechtsprechung suchen. Das Ergebnis ist Zeitersparnis und Erleichterung bei der Suche nach relevanten Informationen.
Darüber hinaus stellt der Knowledge Graph die Verknüpfung von Informationen dar. Er ermöglicht es, verschiedene juristische Konzepte, Gesetze, Präzedenzfälle und andere relevante Informationen miteinander zu verknüpfen. Dies ermöglicht es den Nutzenden, die Beziehungen zwischen verschiedenen Elementen zu verstehen und größere Zusammenhänge zu erkennen. Dies fördert ein tieferes Verständnis und eine breitere Analyse rechtlicher Fragen.
Unser Knowledge Graph ermöglicht außerdem eine ständige Aktualisierung. Neue Gesetze, Präzedenzfälle, rechtliche Entwicklungen und Versionsvergleiche können einfach in den Graphen integriert werden. So bleibt der Knowledge Graph immer auf dem neuesten Stand. Anwender:innen haben Zugriff auf aktuelle und relevante Informationen, die sie bei der Entscheidungsfindung unterstützen. Sie können fundiertere Entscheidungen treffen, da umfassende Informationen, Links zu relevanten Fallstudien und rechtlichen Präzedenzfällen sowie die Darstellung von Zusammenhängen zur Verfügung stehen.
Sie haben eben auch schon das Thema Datenschutz angesprochen – ein großer Kritikpunkt an ChatGPT ist der Umgang des Unternehmens OpenAI mit Daten bzw. der fehlende Datenschutz. Wie genau stellen Sie den Datenschutz in Ihrer neuen Anwendung sicher?
Wie erwähnt, basiert unsere Technologie auf unseren Wissensgraphen. Die Daten sind vollständig unter der Kontrolle des Kunden und durch die (derzeitige) Anbindung an Microsoft Services wie Azure OpenAI (ChatGPT/GPT4) nutzen wir zusätzlich deren Fortschritte bei der Erstellung von Texten.
Natürlich gibt es auch Anfragen von Kundinnen und Kunden, die auf das gesamte offene Wissensuniversum zugreifen wollen, wenn z. B. eine Frage nicht aus den vorhandenen Daten beantwortet werden kann, auch das können wir – dann wird aber in der Ausgabe explizit darauf hingewiesen bzw. die Quelle genannt. Durch die Verarbeitung in unseren Wissensgraphen sind die Daten verifiziert und korrekt; wir können unterschiedliche Informationen verknüpfen und somit auch auf die Quellen der Originaldokumente (z. B. Verordnungen, Beschlüsse, Gesetze, Fundstellen etc.) verweisen.
Welche Rolle spielt hierbei ChatGPT bzw. die Verknüpfung der Anwendung mit GPT-Services?
Durch die Verknüpfung mit GPT-Services können beliebige Fragen in natürlicher Sprache beantwortet werden. Dabei wird auf den jeweiligen Text Bezug genommen. Weiterhin können Texte oder Kommentare zusammengefasst werden und relevante Texte oder Auszüge aus Texten gefunden werden. Kurz gesagt: Es ist eine bessere Unterstützung bei der Suche in einem sehr großen Textkorpus gegeben.
Künstliche Intelligenz ist momentan in aller Munde – können Sie aus Ihrer Sicht eine Prognose auf die Zukunft wagen, wie künstliche Intelligenz die Arbeit von Juristen und Juristinnen in den nächsten Jahren verändern wird?
Die Zukunft der künstlichen Intelligenz im Rechtswesen ist vielversprechend. Es wird erwartet, dass die Technologie der künstlichen Intelligenz in den kommenden Jahren zu tiefgreifenden Veränderungen in der Art und Weise führen wird, wie Juristinnen und Juristen arbeiten:
- Automatisierung von Routinetätigkeiten: Einer der offensichtlichsten Bereiche, in denen KI die Arbeit von Juristinnen und Juristen verändern wird, ist die Automatisierung von Routineaufgaben. Durch den Einsatz von KI-Systemen können Juristinnen und Juristen zeitaufwändige und repetitive Aufgaben wie Rechtsrecherche, Dokumentenprüfung, Vertragsanalyse usw. effizienter erledigen. Somit haben sie mehr Zeit für die Konzentration auf komplexere und strategischere Aspekte ihrer Arbeit.
- KI-gestützte Entscheidungsfindung: Künstliche Intelligenz kann auch zur Optimierung der juristischen Entscheidungsfindung beitragen. KI-Systeme sind in der Lage, große Mengen an Daten zu analysieren und Muster und Zusammenhänge zu erkennen, die dem menschlichen Auge unter Umständen entgehen. Dies kann Juristinnen und Juristen dabei helfen, fundiertere Entscheidungen zu treffen, insbesondere Risiken abzuwägen und Strategien in komplexen Rechtsstreitigkeiten zu erarbeiten.
- Personalisierte Rechtsberatung: Künstliche Intelligenz kann dazu beitragen, die Rechtsberatung stärker auf den Kunden auszurichten und persönlicher zu gestalten. Durch den Einsatz von KI-basierten Chatbots und Virtual Assistants können Juristen und Juristinnen maßgeschneiderte Rechtsinformationen und -dienstleistungen anbieten, ohne dass der Mandant physisch anwesend sein muss. Dies ermöglicht eine effizientere und kostengünstigere Rechtsberatung für eine breitere Klientel.
Vielen Dank für das Interview!
Gordan Gajski
Gordan Gajski, ein angesehener Experte für Medien und Digital Commerce, bringt über 25 Jahre Berufserfahrung in sein derzeitiges Engagement als Leiter des strategischen Business Development bei der Onlim GmbH ein. Die Onlim GmbH ist ein führendes Unternehmen, das sich seit 8 Jahren intensiv mit der Entwicklung von Sprachmodellen, Künstlicher Intelligenz und Kommunikationsbots beschäftigt. Seine vielseitige Karriere umfasst verschiedene Management-Positionen bei globalen Unternehmen wie Sony, Ericsson, Amdocs, Warner, sowie ORF und fachjuristische Verlagsunternehmen.
In den letzten Jahren hat Herr Gajski erfolgreich digitale Strategien für Unternehmen in den Branchen Telekommunikation, Rundfunk, Medien und Verlag entwickelt und neue kommerzielle B2C- und B2B-Geschäftsmodelle auf internationalen Märkten eingeführt. Seine umfangreiche Erfahrung im Umgang mit den Herausforderungen der digitalen Medienindustrie hat ihn dazu befähigt, disruptive Technologien zu nutzen und komplett neue Ökosysteme und Geschäftsmodelle zu schaffen.